San Martino di Castrozza: Die Signora, errötende Berge und kalte Betten

Die Cinderalla von Dolomiti Superski, wie sie liebevoll genannt wird, Valeria Ghezzi, kann sich durchaus anders benehmen, als man es von einem Aschenputtel erwarten könnte. Und so mancher hat sich schon in ihr verschätzt, der nur ihr freundliches, zurückhaltendes Betragen erfahren hat. Sie kann Dampf machen und macht Dampf, die Präsident des Verbandes italienischer Bergbahnen und Chefin der Funivia Tognola, neben anderer Unternehmen.

Die Bergbahn von Tognola, wo wie sie neben der Bergstation in der gleichnamigen Hütte treffen, die ein veritables Restaurant ist, führt hinauf von San Martino di Castrozza, das einmal zu österreichischen Zeiten, also bis 1918, Sankt Martin am Sismunthbach hieß. Das ist ein uns ziemlich tot vorkommendes Städtchen, was Valeria Ghezzi allerdings nicht so stehen lassen wollte, auf 1467 Meter Höhe im Primierotal, am Fuße der Palagruppe, südlich des Rollepasses, in der Provinz Trentino, also ziemlich weit weg, hinter dem Berge. Aber in wunderschöner Natur. Und das ist, so verwunderlich das klingt, ein Teil des Problems, mit dem sich Frau Ghezzi herumschlägt.

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San Martino, so die Werbung, sei einer „der wohl bekanntesten Ferienorte der Dolomiten“. Das ist er leider nicht, jedenfalls nicht mehr bei deutschen Gästen, die in den 60er Jahren noch 70 Prozent der Besucher ausmachten, heute nur noch 2. An ihre Stelle traten vor allem Italiener, dazu Osteuropäer und Russen. Es ist das südlichste Gebiet des Skiverbundes Dolomiti Superski und zugleich einer der kleinsten, daher die Bezeichnung Cinderalla, und die Liftanlagen sind zwar nicht von Asche bedeckt, aber die zweisitzigen Sessel, an deren Vorderkante man – immerhin – Gummiwülste angebracht hat, um Knie und Waden zu schonen, sehen so aus, als stammten sie aus der Zeit der Gebrüder Grimm. Die Reste des ältesten Liftes, eines Schlittens, den ein Hermann Panzer im Jahre 1937 konstruierte, kann man heute in der Nähe der Gondelbahn Tognola bewundern.

Valeria Ghezzi im Gespräch„Ja, es stimmt“, sagt Valeria Ghezzi, „San Martino hat die Zeit verschlafen. Zulange hat man gedacht, die Schönheit der Landschaft, vor allem der Palagruppe genüge, um für Besucher attraktiv zu sein. Man müsse nicht investieren.“ San Martino di Castrozza ist umgeben vom Naturpark Paneveggio – Pale di San Martino. Eine Seilbahn führt vom Ort auf die Rosetta, von der man auf 2743 Meter Höhe direkt ins Herz der Palagruppe wandern kann, was viele tun, auch viele Deutsche, aber im Sommer.
Im Winter umfasst das Skigebiet ein sogenannten „Almenkarussell“, was ein wenig nach Armenkarussel klingt, mit 45 km Pisten, eingefügt in die Felslandschaften von Tognola, Valcigolera und Ces.

Es gibt einige Hütten, wie die Malga Ces, die ländlichen Charme versprüht und mit heimischen Spezialitäten aufwartet. Die Pisten waren optimal beschneit, weil „wir uns erst für die Beschneiung entschieden haben, neue Lifte sollen später folgen.“ Stand heute können etwa 95 Prozent des Skigebiets beschneit werden. Dass man bei den Aufstiegsanlagen nicht weiter ist, inzwischen gibt es 24, ärgert Valeria Ghezzi maßlos. Und damit macht sie sich nicht beliebt. So wird ihr wenig versteckt vorgeworfen, sie mache sich für Castrozza stark, meine aber in Wirklichkeit nur ihre eigenen Interessen. Zu der für die Weiterentwicklung des Gebietes entscheidende Frage, ob es gelingt, eine Verbindung zum Rolle-Pass herzustellen, der die 15 minütige Autofahrt erübrigt, verschanzt sich jede Seite hinter Gutachten über die Kosten von Herstellung und Betrieb, die nicht in Deckung zu bringen sind. Die örtliche Presse, „La Voce des Nordest“, hält sich bedeckt, nennt Ghezzi „la Signora di San Martino di Castrozza“ und bewundert ihre „basta-Politik“. Die Signora jedoch kann durchaus austeilen: „Hier traut sich kein Politiker aus der Deckung, jeder verfolgt seine Interessen, und seien es nur die Arbeitsplätze am Pass, die durch eine Gondelverbindung entfielen.“ Weil alle klug, furbi, sein wollten, passiere nichts. Da kann man drüber lachen und nach dem Unterschied zwischen den furbi und fannulloni, denen die garnichts tun, fragen, aber Ghezzi bringt das in Rage. „Warum kommen denn keine Deutschen mehr hierher? Weil Südtirol so innovativ war und Angebote für den Wintersport macht, die jeder Weiterfahrt ins Trentino die Argumente nehmen.“ Und auch für das traurige Aussehen des Stadtkerns hat sie eine Erklärung. „Fast alle Hotels sind geöffnet, wir haben 3500 Betten. Aber wir haben 15 000 kalte Betten.“ Was kalte Betten sind, muss sie erklären. „Das sind Betten in Zweitwohnungen. Das kennt man auch aus anderen Orten in den Alpen, in Cortina d´Ampezzo zum Beispiel. Die werden nur für wenige Wochen genutzt.“ Das wird es sein, wenn ansonsten nur 400 Menschen in dem Ort wohnen, sieht das eben so aus: Rolläden runter, das Leben ist verreist. Selbst das vornehme Hotel Sass Maor ist in Appartements zerlegt worden. Es gibt keine Schule, kein Kino, die findet man im Nachbarort Tonadico – Fiera di Primiero.

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Da hat Signora Valeria Ghezzi noch viel zu tun. Ihr Großvater hatte 1957 das heruntergekommene Jagdhotel von Kaiser Franz Josef gekauft und zu neuem Leben erweckt. Und die Gegend hat alles, was man an Schönheiten braucht, aber das Thema, dass das nicht genügt, hatten wir schon. Angenehme Kühle im Sommer, Farbpracht im Frühling und Herbst. In der Nähe Mezzano, eines der schönsten Dörfer Italien, majestätische Berge aus Koralle, die in der Dämmerung erröten, so stellt man sich das Paradies vor.

Vielleicht zieht Valeria Ghezzi aus diesen Bildern die Kraft: Seit 50 Jahren kämpfe die Familie. „Wir haben den Enthusiasmus, die Lust, voran zu gehen, zu wachsen, die Wünsche unserer Gäste bestens zufrieden zu stellen, nicht aufgegeben.“ Und sie schätze sich glücklich, zu wissen, „wie sie in den Spuren von Vater und Großvater die nächsten Jahre weiterzumachen hat.“

Information:
www.sanmartino.com

 

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