Text und Fotos © Marion Vorbeck
Bild oben: Der Achensee – Idylle zu jeder Jahreszeit
Egal, ob man in Süddeutschland wohnt und übers Wochenende raus will oder von weither für einen längeren Aufenthalt anreist: Wem nach Bergwelt zumute ist, der orientiert sich wie ich meistens Richtung Allgäu oder in die Regionen um Garmisch oder Bad Tölz. Dabei erwartet diejenigen eine lohnende Alternative, die einige Kilometer weiter fahren: ins Achental. Das bietet eine wildromantische Bergkulisse und darüber hinaus mit dem Achensee das größte Binnengewässer Tirols. Zwar ist das Tal längst kein wirklicher Geheimtipp mehr, trotzdem geht es hier noch sehr entspannt zu – vielleicht auch, weil es viele von hier aus gleich weiter über die Inntalautobahn nach Südtirol zieht. Doch Dableiben in Pertisau, Achenkirch, Buchau oder in Maurach lohnt sich.
Von München aus kommt man schnell und entspannt hin. Schon die Anreise stimmt auf Erholung ein. Man könnte die Bundesstraße 13 über Bad Tölz und Lenggries nehmen; ich fahre diesmal am Ostufer des Tegernsees entlang, über Kreuth auf der Bundesstraße 307 und weiter wenige Kilometer auf der österreichischen Seite geht es gemächlich über hügelige und Landschaft dahin, bis sich das weite Achental rund um den Achensee öffnet. Umfasst wird es von den imposant hohen, steil abfallenden Gipfeln des Karwendelgebirges mit der Seebergspitze und der Seekarspitze im Westen und auf der Ostseite vom Rofangebirge. Ein weitverzweigtes Netz aus über 500 Kilometer Wanderwegen unterschiedlichster Schwierigkeitsgrade versprechen hier Touren, auf denen man auf weiten Strecken noch alleine unterwegs ist.
Preisfrage: Warum hallt der See nicht wider vor Motorbootgeräuschen? Weil er in einem Naturschutzgebiet liegt, daher sind nur Antriebe erlaubt, die keinen Lärm machen. Und da die Winde hier als ziemlich zuverlässig gelten, gleiten auch gerne Segler still über die Wellen. Das weiß auch die Fischwelt zu schätzen: Unter Wasser herrscht große Vielfalt – die man dann auch auf den Speisekarten der umliegenden Lokale wiederfindet: Saibling, Bachforelle, Regenbogenforelle, Renke, Hecht, Flussbarsch. Das flachere Südende des fast zehn Kilometer langen Gewässers haben nicht nur Touristen, sondern auch Wasservögel wie Reiherente, Stockente oder Zwergtaucher für sich entdeckt und zur beliebten Rast- und Überwinterungsstätte erkoren.
Wir wohnen in Achenkirch, dem nördlichsten Ort am See: Das Kronthaler ist ein ruhig gelegenes Vier-Sterne-Superior-Haus mit viel Naturmaterialien, überall duftet es nach Holz, in mehreren offenen Kamine in den Lounge-Bereichen knistert das Feuer. Kinder sind hier erst ab zehn Jahren erwünscht – wer mit jüngerem Nachwuchs anreist, ist im benachbarten Sporthotel Achensee, einem ausgewiesenen Kinderhotel gut aufgehoben. Eine große Sonnenterrasse mit Blick auf die umgebende Bergwelt lädt auch im Winter zum Dösen ein. Nur manchmal wird die wohltuende Stille von Firmenteams gestört, die sich hier zu Seminaren eingemietet haben und die Kaffeepause draußen verbringen. Bei schönem Wetter wärmt die Sonne so stark, dass es schnell zu warm wird im Anorak und man zum Sunblocker greift.
Überraschung beim ersten Rundgang durchs Haus, insbesondere bei einer Herberge, die sich „Alpine und Lifestyle“ im Zusatz nennt: Als Inhaber Günther Hlebaina 2008 mit dem Bau begann, beschloss er, das Hotel mit einer kleinen Kapelle auszustatten – ein strategisch geschickter Schachzug, denn wenn sie für Hochzeiten gebucht wird, können alle Gäste praktischerweise gleich im Haus feiern und übernachten. Aber auch wer nicht gleich das Ehegelöbnis eingehen will, kommt hier schnell zur Ruhe: Die Kapelle ist nämlich ein offener Raum im Untergeschoss, der seine spirituelle Atmosphäre aus den mit Kieseln gefüllten Wasserbecken, der stimmungsvollen farbigen Beleuchtung, sparsamer Möblierung in Holzoptik und dem massiven Felsen an der Rückwand bezieht, über den Wasser rieselt. An den ist nämlich das ganze Hotel gebaut. Dieser Kalksteinfelsen, an den sich das Hotel schmiegt, ist sozusagen Teil des großen Ganzen: Es gehört zum Karwendelgebirge, und das wiederum zählt zu den attraktivsten Wandergebieten, weil nur wenige Lifte die Idylle stören.
Von ganz unten nach ganz oben: Im 4. Stock befindet sich die Bar, „Himmelnah 999“, nach den entsprechenden Höhenmetern benannt. Hier kann man bei schönem Wetter – oder an lauen Abenden – ebenfalls draußen sitzen oder sich vor Panoramafenstern einen Aperitif oder hausgemachte Teevariationen wie den Himmlischen Tee aus Ingwer, Minzblättern und Limette servieren lassen. Apropos Bar: unten im Loungebereich mischt der neue weitgereiste, kreative Barkeeper Matthias Eder gerade das bisherige klassische Cocktailangebot mit eigenen und international inspirierten Kreationen auf. Zum Beispiel mit dem „Meister Eders Margarita“ mit Tequila, Licor 43, Zitrone und Himalayasalz oder dem „Kronthalers Milano“ aus Campari, Rotem Wermuth und mit Earl Grey infusioniertem Bierschaum. Die Preise für die flüssigen Schmankerl bewegen sich mit 10 bis 13 Euro im Rahmen. So ein aufwändiger Cocktail kann zwar etwas dauern, das Warten und Zugucken lohnt sich aber.
Über die All-Inclusive-Verpflegung werden sich gute Esser sicher freuen. Für mich persönlich erweist sich das Angebot auf den ersten Blick als fast zu reichhaltig, denn meist reicht mir ein ausgiebiges Frühstück bis zum Abendessen. Aber viele andere Gäste nehmen die Rundum-Verpflegung offenbar begeistert wahr. Kaum ist der sogenannte Light Lunch mittags beendet, startet eine halbe Stunde später um 14.30 Uhr der Nachmittagsimbiss mit Ronnefeldt-Tees, Meinl-Kaffee, Kuchen aus der hauseigenen Patisserie und einer pikanten Jause. Da lange ich dann doch zu, setze mich neben den Kamin und nehme mir vor, dafür abends einen Gang auszulassen – zu dem man sich bereits wieder ab 18.30 Uhr einfinden kann. Unbestritten hat die fast durchgehende Verfügbarkeit von Stärkungen den Vorteil, dass man nicht auf die Uhr schauen muss, wann man von einem Ausflug oder vom Spa wieder zurückkehren muss, um noch etwas abzubekommen.
Der geplante Spaziergang zum Achensee muss warten, bis der Pool ausprobiert ist. Für ein Hotel dieser Größe – 99 Gästezimmer insgesamt – ist das Indoor-Schwimmbad sehr großzügig ausgelegt. Von hier aus kann man direkt in den Freiluft-Pool hinausschwimmen. Wer sich schon vor dem Frühstück überwindet, hier ein paar Runden zu drehen, der ist im Morgennebel mit Blick aufs gegenüber liegende Rofangebirge bereits richtig eingestimmt auf einen neuen Tag am Achensee. Zu meinem ganz persönlichen Highlight hat es aber wider Erwarten die Saunalandschaft gebracht. Die lasse ich in anderen Hotels meist links liegen – hier wollte ich die Salzgrotte mit ihrer trockenen Luft ausprobieren, die einen besser durchatmen lassen soll. Obwohl der Bereich am Wochenende sehr gut besucht ist und entsprechend reges Kommen und Gehen herrschte, habe ich auf meiner Liege zwei Stunden lang die Zeit vergessen. Hat den Entspannungseffekt die Sauna mit ihrem orange-rosafarbenen Dämmerlicht bewirkt? Die bequeme Liege? Oder das allseits umgebende Zirbenholz, ein Gewächs der Region, das angeblich den Herzschlag senkt und so für Entschleunigung sorgt?
Das sechsgängige Abendessen habe ich dann doch samt abschließendem Käseteller verspeist. Erfreulich für diejenigen, die kein Fleisch essen, ist die Auswahl zwischen jeweils zwei Vorspeisen und vier Hauptgerichten, mit jeweils einer vegetarischen Alternative. Was ich im Kronthaler, das sich selbst Gourmethotel nennt, probiert habe, war durchweg schmackhaft, oftmals auf hohem Niveau und optisch ansprechend angerichtet. Mehr internationale als heimische Küche, zum Beispiel für Fischliebhaber ein saftiges Heilbuttsteak mit knackigen knallgrünen Zuckerschoten. Was die Patisserie aus den minimalen Angaben Schokolade/Frischkäse/Orange gemacht hat, war ein Dessert, von dem kein Krümel übrig geblieben ist. Die Weinkarte bietet zahlreiche heimische Gewächse wie Weszeli aus Langenlois im Kamptal oder Heinrich aus dem Burgenland sowie namhafte internationale Weingüter, auch die Auswahl der offenen Weine ist verlockend, wenn auch hochpreisig. Bei der nicht-alkoholischen Begleitung muss man sich nicht mit Wasser begnügen, sondern erhält etwa Bergapfelsaft vom Obsthof Troidner in Südtirol als Alternativangebot. Wer sich zum Abschluss einen Edelbrand Hochprozentiges gönnt wie den Himbeere-Edelbrand von der oberösterreichischen Brennerei Schosser, darf sich am Ende nicht über einen zusätzlichen Posten von 10,50 Euro wundern. Dass der Tropfen bereits im Einkauf 10 cl 17 Euro kostet, tröstet da nur in Maßen.
Bei so viel Wohlsein kommt bald das dringende Bedürfnis nach Bewegung auf. Betätigungsfelder gibt es hier so viele, dass man locker mehrere Wochen mit der Erkundung der Umgebung per Pedes oder Aktivsport am Achensee verbringen könnte. So gleiten Wintersportler direkt vom Kronthaler auf das 200 Kilometer umfassende Netz aus Langlaufloipen, die am Gartenhaus des Hotels vorbeiführt oder starten von hier aus zu Nordic-Walking-Touren. „Ski in Ski out“ nennt sich neudeutsch die bequeme Möglichkeit, ruckzuck auf die Langloipe und wieder zurück in die Unterkunft zu gelangen. Auch der Sessellift zum Skigebiet Christlum ist ganz nahe, gleich unten an der Straße. Ein spätes Vergnügen winkt da, denn auf der Christlum findet mittwochs immer das traditionelle Nachtrodeln statt; in Maurach, Pertisau, Steinberg und Wiesing sind die Bahnen die ganze Woche über beleuchtet. Und wer mal wieder Schlittschuh fahren will, kann sich auf den Eislaufplätzen in Maurach, Pertisau und Achenkirch aufs Eis begeben.
Als bekennende Fußgängerin ziehe ich das gemütliche Almwandern vor. Wenn ich wollte, könnte ich direkt vom Balkon meines Zimmers auf den Wanderweg gelangen, der über Waldsteige bergauf zur Riederbergalm mitsamt dem Riederbergstüberl auf 1.281 Höhenmetern und weiter zur Gföllalm führt. Was hat es eigentlich mit den Zeitangaben auf den gelben Weghinweisen auf sich? Sind die wirklich realistisch? War das Vorbild ein geübter Bergfex oder eher ein Flaneur? Nein, die werden vielmehr eiskalt berechnet, und zwar mit einer Faustformel: Ein Wanderer legt in einer Stunde Aufstieg durchschnittlich 300 Höhenmeter zurück, 500 Höhenmeter beim Abstieg, vier Kilometer beim Laufen in der Ebene. Zunächst wird die Zeit für Auf- plus Abstieg zusammengerechnet. Für die gesamte Wanderzeit wird der kleinere Wert halbiert und zum größeren hinzugezählt.
Schade, dass noch nicht Frühjahr ist: Wer in der wärmeren Jahreszeit schnell hoch hinaus will ohne sich groß anzustrengen, nimmt erstmal die Rofanseilbahn östlich vom Achensee. Oben auf dem Hochplateau eröffnet sich dann eine wunderbare Aussicht aufs Tal und man spaziert auf sanften Anstiegen durch eine weitläufige Wiesenlandschaft. Und wer ein Ticket für die Karwendelbergbahn löst, den erwarten mit etwas Glück seltene Begegnungen mit der Tierwelt. Hier, im Naturpark Karwendel, dem größten Schutzgebiet der nördlichen Alpen, lebt noch eine große Population von Steinadlern, auch Steinböcke werden immer wieder gesichtet. Mehr über die Greifvögel erfährt man auf Steinadlerwanderungen, die von Mai bis August von den Rangern des Naturparks geführt werden. Auf drei unterschiedlichen Touren mit einer Gehzeit von 3,5 bis 5 Stunden erläutern die Experten die Lebensweise der bedrohten Tiere. Die Region Achensee bietet außerdem für Frühaufsteher und Romantiker eine Sonnenaufgangstour zur Astenau Alpe mit Bergsteigerfrühstück von Juni bis Oktober. Auf dem Programm steht außerdem ein Gratis-Programm mit ortskundigen Wanderführern. Da geht es dann zum Beispiel um Sommerkräuter, unternimmt man „Nature Watch“ zum Feilkopf oder zur Moosenalm, begibt sich zu einer Panoramawanderung in Achenkirch oder zu einer Steinölwanderung. Steinöl? Denkt sich der Unwissende. Was hat es damit auf sich? Allerorten, sogar im heimischen Supermarkt kann man diese Flüssigkeit zur Massagelotion, Creme oder Shampoo verarbeitet kaufen, allesamt wird den Produkten besondere Wirkkraft zugeschrieben. Wie das Steinöl dem Karwendelgebirge abgetrotzt wird, zeigt das Erlebniszentrum Tiroler Steinöl Vitalberg, ein Unternehmen in Pertisau am Südwestufer des Achensees. Soviel sei vorab verraten: Zum Steinerweichen wird Bächentaler Ölschiefer gebracht, der vor 180 Millionen Jahren aus Ablagerungen abgestorbener Tiere am ehemaligen Meeresboden entstand und bei der Entstehung der Alpen eruptionsartig nach oben gedrückt wurde.
Am nächsten Morgen habe ich jedenfalls nach einem Frühstück samt Ei Benedict Tiroler Stil mit geräuchertem Ricotta und Marillen-Palatschinken von der Inklusive-Karte „Süßes feines Tirol“ das Bedürfnis nach viel Bewegung. Mein Ziel ist Pertisau und dort die idyllische Route entlang des autofreien Westufers des Achensees bis zur Gaisalm. Am Seeufer entlang – ohne störendes Straßenrauschen – geht es einen Forstweg entlang, am Aussichtspunkt Prälatenbuche, ein wenig bergauf und bergab, über schmale Brücken, den Marien- und Barbarasteig, immer wieder tun sich schöne Ausblicke auf den klaren See und das Rofangebirge auf. Wohltuend für Wanderer: Sie müssen mal nicht wie sonst auf vorbeibretternde Mountainbiker achten, denn die Strecke ist für Zweiradler verboten. Die Gaisalm verfügt sogar über eine eigene Schiffsanlegestelle, die auch von der öffentlichen Achensee-Schifffahrt angefahren wird. Ein Erlebnis im Sommer ist sicher eine gemütliche Abendrundfahrt auf dem immerhin fast 10 Kilometer langen und einen Kilometer breiten See für 21 Euro, der an seiner tiefsten Stelle 133 Meter tief ist. Zusteigen kann man zur zweistündigen Tour an jeder Haltestelle. Doch für heute beeile ich mich, wieder zurück ins Hotel zu kommen, der Nachmittagsimbiss wartet. Denn täglich grüßt jetzt – mehrmals – der Appetit.
Infos:
www.achensee.com
Hier auch Buchung von geführten Wandertouren
Anmeldung zu Steinadlerwanderungen bei den Rangern des Naturparks Karwendel:
Tel. 0043 664 2629535
www.tirol-schiffahrt.at
www.daskronthaler.com