Wie Christl Cranz, nur einen Bruchteil so schnell!

Im steirischen Mürzzuschlag kann man eins erleben: Tiefe Demut und die Tatsache, dass man das Skifahren verlernt hat

Skifahren, schwerloses Gleiten, der Rhythmus der Bewegung, Gänsehautgefühle, nicht mal Fliegen ist schöner…dachte ich immer. Hah, falsch, alles zurück, alles auf Anfang. Der Unterschenkel krampft, das Knie versagt den Dienst. Es geht auf den zerwühlten Pistenrand zu, eine Richtungsänderung will nicht gelingen, denn nun kommt eine Eisplatte. Gegen solche martialische Naturgewalt ist man chancenlos. Zack, Plumps, das Material frisst sich fest. Der gebeutelte Körper will nicht mehr in die Senkrechte, die Dinger rutschen weg, der A…llerwerteste und der Oberschenkel nasseln durch, die Hose hat was Schwammartiges. Es ist eher die Todesangst, die mich auftreibt in einer übermenschlichen Anstrengung. Es ist die Panik vor all den anderen, die in atemberaubenden Geschwindigkeiten vorbeizischen, Überschall quasi. Da hilft nur noch der Sicherheitspflug in der Falllinie, es ist auch die Angst des Fahrers vor dem Ausstemmen. Beide Oberschenkel zucken, beide Waden krampfen und jetzt wird es auch noch steil… Eigernordwand oder so! Und die anderen schießen weiter vorbei, allein dieses Geräusch, wo Stahlkanten auf Kunstschnee und Eis kratzen, ich hasse sie, es fühlt sich an, als wenn man als kleiner Radfahrer von tosenden LKWs überholt wird. Es ist die Hölle…

Schneehölle, Muskelkrampfhölle, dabei geht soeben die Sonne in allen Rottönen am Gegenhang unter, es ist ein Traumwintertag, hätte man Augen nur für so was. Und wäre dieser Tag nicht schon so unendlich lang…

autorinhistorisch2mailWir waren wild entschlossen in der Frühe und die Stimmung war wie Karneval, mit Verkleiden. Ein Häuflein aufrechter Menschen wühlte in Klamotten. Herrlich, vor allem bei der Damenoberbekleidung kamen wunderbare Röcke zutage: Wolle, Loden, anders Kratziges. Am Ende wurde es in meinem Fall dann doch ein Pumphose, die dank einer Art Kälberstrick vom Absturz bewahrt werden konnte, Blazer dazu, einzig die neumodische Skiunterwäsche störte die Authentizität. Bis alle eingekleidet waren, ging Zeit ins Land, diese kindliche Freude aber auch!

Meine Freude erhielt den ersten leichten Dämpfer, als der Schuh kam. Bergstiefel, Leder, bockhart, nicht ganz meine Größe, schon nach wenigen Schritten ächzte die Ferse. Könnt man nicht mit dem normalen Tourenschuh, also ich mein…..Hannes Nothnagl spricht den kategorischen Imperativ: Niemals, außerdem seien die Bindungen ja schon eingestellt.

Bindungen, ein großes Wort! Nun muss ich ja sagen, weiland im Allgäu, als ich mit circa 3 Lenzen begann skizufahren, hatte ich auch so eine Seilzugbindung, mein Skimodell war allerdings damals schon weit futuristischer. Diese kantenlosen Holzlatten dienen andernorts als Deko für Bauernstuben oder gehören ins Museum, aber da sind wir ja auch! In Mürzzuschlag, Hochsteiermark. Diese Steiermark heißt nicht so, weil sie so wahnsinnig hoch liegt, sondern weil es hier eben so viele Kompasita mit „hoch“ gibt. aufstiegmailDie Hochbahn, Hochofen aus der Zeit des Bergbaus, der vor allen wegen des Holzreichtums glühen konnte. Holz spielt auch beim Lambert Hölzl – Nomen est Omen – eine große Rolle. Schreiner, Hotelier und Visionär ist der Mann, sein Hotel ist anders, jedes Zimmer einzigartig. Da wachsen Oberkörperlose Jeans aus der Wand, da gibt es eine Eisgrotte aus Pappmaché, da ist jenes Zimmer mit dem roten Wasserbett und das Romantikzimmer. Eine Dame, die hier gebucht hat, bemängelt, man könne bei der Beleuchtung nicht lesen. „Du sollst auch nicht lesen, sondern romantisch….“ Den Rest verschluckt er, gut der Hochsteirer ist auch sehr authentisch, fast schon beklemmend ehrlich.

„Von seltsamer Überlauffung der Schnee Berge“.

Und der Hochsteirer war es eben auch, der sich um den mitteleuropäischen Skilauf verdient gemacht hat. Ende des 19. Jhd. waren „Freizeit“ noch kein Begriff, am ehesten hatten noch reiche Bürger aus großen Städten Freizeit, die sie in Sommerfrischen nutzten. Berge waren bedrohlich, Winter gefährlich. Ski stammten damals aus Skandinavien, benutzt vom Militär, Postboten in unwegsamen Gelände und Forstbeamten. Und dann traten der Mürzzuschlager Wirt Toni Schruf und sein Grazer Kumpel, der Sektfabrikant, Max Kleinoscheg 1890 auf den Plan und ließen sich Ski schicken. Sie übten in der Nacht, weil es echt peinlich war. Und doch legten sie den Grundstein zu all dem, was heute „Skiurlaub“ heißt. Denn sie bauten auch 1896 schon die Nansenhütte am Berg, sie dachten damals schon touristisch. Sie lobten auch schon 1893 ein erstes Skirennen aus in diversen Startgruppen: Herren, Damen, Kinder. Und bitteschön, man startete in Fünfergruppen, den Skicross gab es damals schon! Und nochmals bitteschön: Auch 1907 gab es schon Schneemangel, man verlegte nach Kitzbühel und jetzt täten sich die am Arlberg oder in Kitz aufmandeln mit ihrer langen Skigeschichte. Wer hat´s erfunden? Die Steirer!

historski2mailEs gibt keinen Platz auf der Welt der besser wäre für ein Skimuseum. Es begann als kleine Privatsammlung, es ist seit 1998 eines der vier FIS Museen weltweit, es hat heute im neuen Gebäude im Zentrum des Städtchens 1000 Quadratmeter und rund 40000 Objekte. Die Skihistorie beginnt hier mit einem Ostsibirischen Ski, der 2000 Jahre alt ist. Oder geht es doch los doch mit dem „Kalvträsk“ aus Schweden? Zu der Flunder gehört ein Stock wie ein Paddel gehört, was die Annahme bestärkt, dass man den „Ski“ im Moor sommers wie winters benutzt hat! Das Museum ist zum Niederknien schön, auch die Texte sind wohldosiert, da schreibt im 17. Jhd. so ein Freiherr „von seltsamer Überlauffung der Schnee Berge“. Wie seltsam erlebt man wenig: Hannes Nothnagl ist seit 1994 zuständig, er kennt jedes Stück persönlich, jede Anekdote und er gehört zum Historischen Skiteam. Das Mürzzuschlager Museum rüstet Skifilme weltweit aus – und es rüstet Irre wie uns aus. Ganz offiziell kann man hier den historischen Skikurs buchen oder noch kühner ein(auf)steigen: eine historische Skitour aufs Stuhleck. Also historisch rauf, historisch runter.

einstellenmailAls wir am späten Vormittag unten am Lift stehen, sind wir die Attraktion – und wie das schmeichelt! Im Sessellift gefallen wir uns sehr gut, das erste Aussteigen ergibt eine 50:50 Chance: stürzen oder nicht. Geht so, wir sliden vorwärts und über eine ganz flache Piste mehr oder weniger in Schussposition zum Ausgangspunkt. Na, Helden sind wir! Felle anlegen mit Klammern und Gebändsel, Klebefelle sind nicht authentisch. In der Aufstiegsspur große Sprüche: Mensch, das geht doch prima – wäre da nicht die Ferse. Der Schmerz nimmt zu. Dennoch: schöön! Was für eine Aussicht an diesem sonnigen Tag, ich versuche irgendwie zu entlasten, aber Fersen kann man nicht einziehen. Wir steigen weiter, Pulverschnee, Sonnenflitter auf Schneekristallen, jetzt spür ich wie das Blut rinnt. Auf beiden Seiten…

Irgendwann sind wir oben, gänzlich unhistorisch organisiere ich von einer Kassenkraft im Restaurant diverse Pflaster. Auch die Socke musste angesichts des Blutflusses in ihrer Saugwirkung aufgeben. Aber beim Runterfahren scheuert es ja nichts mehr, oder?  Ob es scheuert oder nicht, vermag ich nicht zu erinnern. Der Überlebenskampf, das Ringen um einen Kurve überschattet alles. Es zieht in den Schritt der Christl Cranz Hose, ich bin bloß ein Hundertstel so elegant und ein Tausendstel so schnell. Wie lang ist eine 3,5 Kilometer Talabfahrt? Auf einem Racecarver sehr kurz, auf dem Holzlümmel endlos. Ich schwöre in Zukunft Anfänger und deren Ängste zu achten. Ich schwöre meinem hausschuhbequemen Skistiefel zu huldigen. Ich werde der High Tech Faser eine Kerze stiften. Früher war nicht (!) alles besser, aber lustiger irgendwie …..

 

Info

Hochsteiermark, Pestalozzistr. 12, A-8670 Krieglach, Tel.: 0043/3855/4557020
www.hochsteiermark.at

Winter!Sport!Museum! Mürzzuschlag, Wiener Str. 13, A-8680 Mürzzuschlag, Tel.: 0043/3852/3504
www.wintersportmuseum.com

Das Skigebiet:
bis auf 1.774 m, zwei 6er-Sesselbahnen, zwei 4er-Sesselbahnen, sechs Schlepplifte, 24 km Abfahrten, eine Nachtpiste, Rodelbahn, vier spektakuläre Snowparks, eine SnowTubing-Strecke, nette Hütten!

Hoteltipp:
Kompetenzzentrum Romantikzimmer Hölzl. Pogierstr. 70, A-8642 S. Lorenzen
www.kompetenzzentrum-hoelzl.at

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