ABGEFAHREN: HEDONISMUS IM SCHNEE

Der erste Gang – Kaninchen – verdiente nur ein einziges Prädikat: grandios. Die  Sonne und der Schnee? Wie das Kaninchen. Insgesamt also: ein Tag zum Niederknien. Wenn einen während dieses Niederkniens nicht gleichzeitig dieser Gedanke befiele: Darf man das überhaupt in den Zeiten von Aleppo und so? 50 Euro hin blättern und an einem Event des Titels „Gourmet Skisafari“ teil nehmen? Die Veranstaltung sieht vor: Auf Skiern fünf verschiedene Skihütten des Südtiroler Skigebiets Alta Badia an fahren. Und in jeder dieser Hütten einen kulinarischen Gang zu sich nehmen – zubereitet jeweils von hochdekorierten Meisterköchen. Dazu jeweils ein Glas erlesenen Weines. Hedonismus pur gewissermaßen. Nichts für Puristen in punkto Ethik – bezüglich besagtem Aleppo und so. Und dennoch, der Autor gesteht: Kurz nach dem Kaninchen – war es das letzte Mal an diesem Tag, da sich Gedanken dieser Art in seine Gehirnwindungen drängten. Der Mensch ist eben in seiner weitaus häufigsten Ausfertigung keine Mutter Teresa. Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral. Ach ja. Einmal tauchte das schlechte Gewissen doch noch einmal auf. Während einer Liftfahrt, die Zeit ließ zum Sinnieren. Doch der Reporter vollführte das, was er stets in derlei Situationen zur Krisenbewältigung an zu wenden pflegt: Er holte mit dem rechten Arm aus, fuhr damit durch die Luft – und wischte das Problem einfach vom Tisch. „Nachdenken über diese ganze Sache“, dachte er bei sich, „kann ich abends dann, im Bett.“

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ABGEFAHREN! Die Ski-Reporter von Reise-Stories.de unterwegs im Schnee. Jede Woche wieder! Um aktuell zu schildern, wie es auf den Pisten von ……. gerade aus sieht.  Dieses Mal: So war es am vorgestrigen Sonntag, 12. Dezember 2016, im Hochabtetal (Alta Badia) in Südtirol/Italien.

Foto oben:

Ein Kaninchen in den Dolomiten.

Fotocredit & Copyright aller Fotos dieses Reports:

Jupp Suttner. Sämtliche Bilder wurden aufgenommen am 12. Dezember 2016.

Text:

Jupp Suttner

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Jetzt jedoch war tagsüber. Und die erste Station der Gourmet Safari absolviert. Sie hatte zur Col Alt-Hütte oberhalb von Corvara geführt, wo Nicola Laera vom Restaurant La Stüa de Michil im Alta Badia-Hotel La Perla zubereitet hatte:

Gerollter Kaninchenbraten der Bleggio Hochebene mit Leber,

Die Kaninchen-Köche

Kürbis, Kastanien und Sauris-Schinken-Pulver. Dazu einen Südtiroler Pinot Grigio.

Das Urteil darüber – siehe Beginn dieser Geschichte. Weiter ging es zur Piz Arlara-Hütte. Dort hatte Thorsten Probost, gebürtig von der Schwäbischen Alb und nun Chef in den Griggeler Stuba in Lech Zürs im österreichischen Vorarlberg, kreiert:

Ein Tartare dell’Alta Badia – inklusive eines Austernblattes aus Nordschottland. Ob jenes ein Nordwind hierher in den Süden geweht hatte, entzieht sich unserer Kenntnis, doch falls ja, so hatte es

den Luftweg fabelhaft überstanden: Es schmeckte zart wie… wie ein nordschottisches Austernblatt eben… Vor allem dann, wenn man mit dem Genuss des dazu gereichten Südtiroler Blauburgunders nicht schon vor dem Blattverzehr begonnen hatte. Das Tartare selbst? Wunderbar würzig!

Zum 5. Male bereits findet diese Gourmetrunde in Alta Badia statt, jeweils an einem Dezember-Sonntag. Und inzwischen nehmen rund 250 Skifahrer(innen) daran teil. Die sich jedoch gut verlaufen. Denn es gibt keine Vorschrift, zu welchem Zeitpunkt man welche Hütte an zu steuern hat. Die Route ist jedem selbst überlassen. Hauptvergnügungs-Zeit: zwischen 11 und 15 Uhr.

Nun ist es 13 Uhr und wir steuern unsere persönliche Station Nr. 3 an – die Bioch-Hütte, wo Cooking-King Norbert

Niederkofler (auf dem Foto links) vom Restaurant St. Hubertus im Relais & Chateaux Hotel Rosa Alpina in Badia mit seinem Team etwas zubereitet hat, das unerlässlich erscheint im Rahmen einer Gourmetrunde in Italien – Pasta:

Tortellini NORA – gefüllt mit geschmorter Kalbswange und antikem Gemüse, serviert in der Bouillon. Dazu ein Südtiroler Weißburgunder.

Schorsch aus Bayern – ein strenger Tester von Pisten und Kulnarik

Eigentlich heißt diese Rubrik ja ABGEFAHREN und nicht etwa AUFGEGESSEN – weshalb unbedingt auf die Schneelage in Alta Badia hingewiesen werden muss:sie beträgt 0,00 Zentimeter – neben den Pisten. Doch die Pisten selbst, sämtliche künstlich

Nach Corvara hinab

beschneit, offenbaren einen ausgezeichneten Zustand: griffig und nicht eisig. Dazu wenig Menschen auf den Hängen unterwegs – ein Traum für alle, denen es vor allem auf das Gefühl des Carvens und Wedelns an kommt und nicht auf eine winterlich einhüllende Landschaft. Mit dem Tempo übertreiben sollte man es

jedoch keinesfalls – denn die Sturzräume neben den präparierten Strecken sind nicht weiß, sondern grün, braun, grünbraun und braungrün.

Vielleicht sehen ja manche Matten in Kasachstan genau so aus. Denn dort hin reisen wir jetzt, schwingen zur Tablá-Hütte, die sich heute dem fernen Land verschrieben hat. Es kocht dort

nämlich Esat Akyildiz (mit Mütze), Küchenboss im Ritz-Carlton von Almaty. Und zwar eine…

Kespe Sorpa, DAS kasachische Nationalgericht: eine aromatische Gemüse-Fleisch-Brühe mit frischen, schmalen Bandnudeln: geradezu ideal, da es nun um 14.30 Uhr bereits wieder kälter zu werden beginnt, nachdem es tagsüber je nach Standort der verschiedenen Thermometer alle möglichen Abstufungen zwischen 3 ° plus und 13 ° plus anzeigte. Auch hierzu ein Südtiroler Weißburgunder. Sowie genussvolles Verweilen auf der Terrasse. Wenn schon kein natürlicher Pulverschnee – dann als Genuss eben das Gefühl von Frühlingssonne.

Zu jedem Gang der passende Wein

Und schließlich die letzte Station – die Club Moritzino-Hütte, wo Matteo Metullio (jüngster Sternekoch Italiens) vom Restaurant La Siriola im Hotel Ciasa Salares in Alta Badia uns serviert HÄTTE:

Gebackenes Kalbsbries auf gehacktem Kaisergranat, geräucherter Topinambur-Schaum und Lakritze-Anis-Sauce.

HÄTTE deshalb, weil bei unserer Ankunft um 15.10 Uhr die Ausgabestelle bereits geschlossen hatte – selbst der zum Mahl passende Südtiroler Sauvignon war bereits weg gesperrt. Aber wir nehmen an, dass auch Metullios Schöpfung nicht ganz übel war.

Fast alle Pisten offen

Die zweitschönste Piste des Tages? Zweifelsohne die Col Alto von Corvara. Hier lief 1946 Italiens erster Sessellift. Längst ist er erneuert – dennoch feiert die Bergbahn heuer

Wunderbar leere Dezember-Hänge in Alta Badia

60jähriges Jubiläum. Das absolute HIGHLIGHT freilich, ganz zum Schluss, nach La Villa hinab: die Gran Risa-Abfahrt. Eine wahrlich schwarze Strecke, was die Neigung betrifft – doch ohne jegliche Buckel und Verwerfungen. Und ohne viel Betrieb. Ein Paradies für alle, die Herausforderungen lieben.

Es ist die letzte Möglichkeit, diese Piste zu befahren, denn gewissermaßen nach uns wird sie gesperrt – um perfekt präpariert werden zu können: für das Weltcup-Rennen von Alta Badia, den legendären Riesenslalom-Klassiker, der dieses Jahr am 18. Dezember steigt ( Parallel-Nacht-Riesenslalom am Montag 19.12., www.skiworldcup.it ). Neureuther, Luitz & Co. werden für diese Veranstaltung vermutlich wieder im 5*****-Hotel Sassongher in Corvara absteigen, über welches wir bereits 2015 berichteten :

https://reise-stories.de/warum-george-clooney-und-felix-neureuther-hier-absteigen/

Natürlich wird – wenn wir alle Zeichen richtig deuten – auch im Dezember 2017 wieder eine Gourmet Safari steigen. Wer jene von 2016 auf völlig individuelle Weise nach vollziehen möchte: Besagte Gerichte gibt es auf den erwähnten fünf Hütten (nachgekocht vom jeweiligen Haus-Koch) die ganze Saison über täglich à la carte. Und dazu in neun weiteren Hütten noch Speisen folgender Koryphäen:

Aus Österreich: Martin Sieberer (Ischgl) und Simon Taxacher (Kitzbüheler Alpen).

Aus der Schweiz: Marcus G. Lindner (Gstaad), Christian Schorner (Zermatt), Harry Switalla (Zermatt), Martin Dalsass (St. Moritz), Reto Mathis (St. Moritz).

Aus den USA: Matt Zubrod (Aspen/Colorado).

Aus Russland: Vladimir Mukhin (Sotschi).

Alta Badia will damit seinen Ruf als Ski-Genuss-Destination Nr. 1 in Europa (und damit der Welt…) manifestieren. „Ein wunderbares Tal, dieses Hochabteital!“, denkt der Reporter sich denn dann abends im Bett. Und führt sich einen Tages-Hochgenuss nach dem anderen vor Augen – um nur ja die Beantwortung der ihn eigentlich drängenden Frage hinaus zu schieben: die Aleppo-Frage. Und als er letztendlich doch nicht mehr aus weichen kann und will, steht für ihn fest:

Der Veranstalter sollte den Teilnahmepreis von 50 Euro auf 70 Euro erhöhen – und die zusätzlichen 20 Euro einem wohltätigen Zweck zu führen. Die 5.000 Euro, die dabei heraus kämen, wären zwar nur ein KLEINER Tropfen gegen das, was wirklich in der Welt benötigt wird. Aber manche der Gourmetrunden-Teilnehmer(innen) empfänden es vermutlich als GROSSEN Schritt – zur Erleichterung ihres Gewissens.

Und eingeladene Gäste – wie etwa Journalisten – sollten diesen Betrag freiwillig entrichten.

Jupp Suttner

 

DETAILS:

Das Südtiroler Alta Badia (Hochabteital) ist ein vor rund zwei Jahrzehnten kreierter Tourismusverband und besteht aus den ladinischsprachigen Orten Badia, Colfosco, Corvara, La Villa,  La Val und San Cassiano. Höhenlage: Cirka 1.400 m bis 2.700 m.

ANREISE: Viele Navigations-Systeme kennen den Begriff Alta Badia nicht. Für die Autoanreise besser direkt den Namen des Orts (etwa Corvara) in das Gerät ein geben. Via Brennerautobahn etwa 300 km von München entfernt. Mit dem Zug bis Bozen, dann Regionalbahn und Bus. Nächster Flughafen: Innsbruck.

PISTEN: 130 Pisten-km, davon 70 km leicht, 52 km mittel und 8 km schwer. Besonderheiten:

La Villa mit der legendären schwarzen Weltcup-Riesenslalom-Strecke Gran Risa (1,5 km lang) – und ansonsten nur leichten und mittelschweren Pisten.

Corvara – eine rote und viele blaue Pisten. Bester Anschluss zur Sella Ronda. Jene ein Mal während des Urlaubs zu absolvieren, ist Pflicht. Man erreicht dabei vier ladinische Täler (Alta Badia, Gröden, Fassa, Arabba), die sich in drei verschiedenen Provinzen (Südtirol, Trentino, Veneto) befinden. Und trifft unterwegs auf so markante Stationen wie die Dolomitenpässe Campolongo, Sellajoch, Grödnerjoch, Pordoijoch oder auf hoch gelegene Liftstationen wie Porta Vescovo bei Arabba (siehe unser ABGEFAHREN vom Januar 2015:   https://reise-stories.de/abgefahren-die-gorzas-zeigten-es-allen/  ) oder Dantercepies und Boé.

LIFTPREISE: Alta Badia gehört wie elf andere Destinationen zum größten Skilift-Verbund der Welt (1.200 Pisten-km, 450 Aufstiegshilfen) namens Dolomiti Superski. Der 6-Tages-Skipass kostet je nach Saison zwischen 220 und 275 Euro (Kinder 154 bis 193 Euro, Senioren 198 bis 248 Euro).

Infos über das Skigebiet: www.altabadia.org , www.dolomitisuperski.com

Infos über die Region:  www.suedtirol.info

Infos über das Land: www.enit.de

Ein Berg – zwei Sportarten: Links Skifahrer – rechts Bergwanderer
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