Es gibt PURen Sex. Es gibt PURitaner. Es gibt PURzl (den Lieblingshund des Journalistenkollegen D. Braune.) Es gibt die Farbe PURpur. Und es gibt PUR pur. Letzteres dann, wenn die Gruppe PUR live auf tritt. So wie heute Abend um 18 Uhr beim Opening im Tiroler Ski-Ort Ischgl. Nun ist es so, dass der Reporter mit der Musik dieser Band nichts anfangen kann. Wenn AC/DC purer Sex ist, um ein Beispiel aus der simplen Gedankenwelt des Autors zu nennen, so erreicht PUR nicht einmal die Stufe des Händchenhaltens. Also fiebern alle, die an diesem Samstag, den 26. November 2016, in Ischgl so denken wie der Berichterstatter, nicht dem 18 Uhr-Termin entgegen, sondern – dem pursten aller Wintervergnügen: Schiiiiifoooooan!!!!! Und zwar in einem der besten Skigebiete der Alpen und somit der Welt: der Silvretta Arena Ischgl-Samnaun.
_______________________________________________
ABGEFAHREN! Die Ski-Reporter von Reise-Stories.de unterwegs im Schnee. Jede Woche wieder! Um aktuell zu schildern, wie es auf den Pisten von ……. gerade aus sieht. Dieses Mal: So war es am vorgestrigen Samstag, 26. November 2016, in Ischgl/Tirol.
Foto oben:
Ischgl bietet momentan in seinen oberen Regionen einen wirklichen Winter.
Fotocredit & Copyright aller Fotos dieses Reports:
Jupp Suttner. Sämtliche Bilder wurden aufgenommen am 26. November 2016.
Text:
Jupp Suttner
__________________________________________________
Ischgl liegt in Österreich, Samnaun in der Schweiz. 220 Pisten-Kilometer misst die zwischen EU und Nicht-EU pendelnde Skischaukel – und 110 davon sind bereits geöffnet. Der größte Teil präsentiert sich wunderbar weiß belegt – auch wenn zwischendurch (in ganz-ganz-ganz wenigen) Passagen Steinchen aus dem Teppich lugen. Fahren jedenfalls lässt sich die Mischung aus Natur- und Kunstschnee an diesem Vormittag absolut fabelhaft. Und dass es ein wenig wurlt auf manchen Hängen, darf nicht verwundern, denn:
Es befinden sich zu dieser Stunde 17.000 Menschen auf den Pisten – zahllose deshalb, weil im Skipass der Preis für das PUR-Konzert im Tal unten inbegriffen ist. An steilen Stellen ergibt sich ob der Menschenmenge bisweilen etwas abgeschabter Untergrund, für welche Ski-Freaks eine simple Erklärung offerieren: Ischgl besitzt an diesem PUR-Tag eine eminent hohe Dichte (gegenüber anderen Skigebieten) an Snowboardern.
Andererseits findet, wer suchet, etliche Hänge – auf denen so gut wie niemand carvt, wedelt oder boardet. Zum Jubeln!
Doch die Masse strebt stets der Masse hinterher. Wie schön für die Mitglieder der Nicht-Masse. Oben, auf etwa 2.500 Metern Höhe, zeigt das Thermometer zur Mittagszeit übrigens 8 ° an. Plus. Und dennoch lässt es sich klasse fahren. Wobei es nicht nur hinab, sondern auch hinauf Vergnügen bereitet. Drei Ausschnitte aus belauschten Liftgesprächen:
Eine chice Schweizerin: „Sooo schön hier! Soooooo weiß alles! Wir hatten es auch schon so, dass neben der Piste die Blüemeli heraus geschaut haben!“
Ein rustikaler Bayer: „Letzte Woch’ war i in Buenos Aires. Mei, laffa do Hasn ’rum!“
Eine rassige Russin: “Njet!” (Zu einem Luxemburger, der sie zu einem Drink nach der nächsten Abfahrt verführen will.)
Und schließlich noch die beiden Herren auf der Piste. Sie tragen einen unauffälligen Skianzug. Als seien sie Beamte. Nun – es SIND Beamte. Doch sie haben heute ihren Job in den Schnee verlegt. „Könnten wir bitte mal Ihre Uhr sehen?“, treten sie an einen Skifahrer in weitaus eleganterem Outfit heran. Und zücken ihre Ausweise. Österreichischer Zoll. In Zivil. Genau auf der Höhe des Berges, wo die Grenze zur Schweiz verläuft.
Der verdutzte Mann trägt eine harmlose Swatch. Und keine Breitling, Ebel oder Rolex, für 8 000 Euro in Samnaun gekauft und sie nun über die weiße Grenze heimlich nach Tirol transportierend. Glück gehabt. Sonst hätte die Staatsgewalt zugeschlagen. Schließlich kosten 8 000-Euro-Uhren außerhalb von Samnaun garantiert 10 000 Euro. Denn Samnaun ist eine zollfreie Schweizer Enklave und Schmuck, Parfüms, Zigaretten, Alkohol – um die üblichen Klassiker zu nennen – sind dort wesentlich günstiger zu ergattern als anderswo. Die berühmteste Après-ski-Kneipe in Samnaun mit seinen fünfzig (!) Zollfrei-Shops heißt nicht umsonst „Schmuggler Alm“. Und wer aus Samnaun mehr als die erlaubten Höchstwerte in die EU mit bringt, muss sie verzollen.
Die meisten sagen jedoch „müsste“ und empfinden ihre Skifahrt von der Schweiz nach Österreich hinab als einen Thrill, gegen den die Absolvierung der Kitzbüheler Streif ein winzigster Nerven-Klacks ist. Denn gelegentlich werden am Gesetz vorbei wedelnde Ski-Freaks eben erwischt. Ein Rucksack voller Rolex – kann zur Schussfahrt hinter Gittern werden. „Normalerweise“, verrät uns ein Skilehrer, „liegen die österreichischen Zöllner nur in der Sonne und lassen es sich gut gehen. Aber wenn der Chef vorbei schaut, dann werden sie immer eifrig…“
Der Chef scheint heute zugegen zu sein. Denn die Sonne scheint schön. Dennoch ist die nächste Abfahrt zugleich unsere letzte dieses Vormittags – denn im Pardorama-Bergrestaurant auf 2.624 m Höhe steigt nun im Konferenzraum („Dem höchsten Österreichs!“, wie Ischgls Tourismusdirektor Andreas Steibl auf diesen Superlativ hin weist) eine Pressekonferenz mit PUR. Zuvor jedoch teilt Hannes Parth, Vorstand der Silvretta Bahn AG, noch mit, dass man in den letzten zehn Jahren rund 300 Millionen Euro investiert habe.
„Heuer waren es jedoch nur 20 Millionen“. Geht es Ischgl etwa schlechter als einst? Deutet die Tatsache, dass oben am Berg kein in den Schnee gestellter Porsche mehr präsentiert wird, sondern nur noch ein dagegen etwas mickrig wirkender Jeep, auf eine Misere hin? Ach wo, winken Insider ab, Ischgl brenne weiterhin auf höchstem Niveau. Aber manchmal würden halt auch weniger hohe Invest-Summen genügen.
14 der 20 Millionen von 2016 flossen in die Flimjochbahn, welche von der Idalp zur Alp-Triada eine ideale Verbindung zwischen Tirol und Graubünden dar stellt und in dieser Eigenschaft von 1993 bis letzten Winter rund 30 Millionen Beförderungen schaffte. Mit einer Kapazität von 2.400 Personen pro Stunde. Die neue Bahn an dieser Stelle schafft 3.200. Die alte tut nun in Sibirien Dienst.
Außerdem, so Parth, habe man ein neues Pistenleitsystem
kreiert – welches als wirklich gelungen bezeichnet werden kann. Und schließlich schuf man eine „Schmuggler Runde“. Sie führt in die Schweiz und wieder zurück. „Es ist ja noch nicht so lange her“, erinnert sich Parth, „dass wir ein armes Tal waren und unsere Großväter sich mit Schmuggeln über Wasser hielten.“
Die Schmuggler Runde gibt es – jeweils mit Guide vorne dran – in der Version
GOLD (36 km lang),
SILBER (25 km) und
BRONZE (müsste eigentlich BLAU heißen, denn die 20 km laufen fast nur auf ganz leichten Strecken).
Vermutlich schmuggeln die Teilnehmer bei GOLD dann Rolex-Uhren, bei SILBER Silberschmuck und bei BRONZE Zigaretten.
„Unsere Gäste wollen sich messen“, so Parth, „wollen etwas erreichen und abends darüber reden können.“ Etwa, wem der gewaltigere Schmuggel-Coup geglückt ist.
Dann warten wir auf PUR. Sie befänden sich bereits in der Seilbahn nach oben. Auf wen von allen Stars, die Ischgl bei seinen legendären Openings verpflichtete, musste man am längsten warten? Alfons Parth, Obmann des Tourismusverbandes Paznaun: „Auf die Naomi Campbell. Die flog in Rom los, als hier in Ischgl die Pressekonferenz beginnen sollte. Alle warteten auf dem Parkplatz bei 16 ° Minus auf sie. Aber auf der Bühne ihrer Modenschau war sie dann eine perfekte Puppe.“
Und bald nach dem Gig sei sie mit dem Taxi nach Mailand zurück gedüst – wobei die Schöne vom Rücksitz aus den Chauffeur würgte und beschimpfte, aus welchem Grund auch immer. „I hob hinterher“, so der smarte Alfons, „dem Taxifahrer gsagt, er hätte sie gleich an der Grenz ’raus schmeißn sollen!“
Kriegsberichte von ehedem. Jetzt jedoch ist PUR eingetroffen. Zwei der Band sind von Schmerz gezeichnet: Cherry Gehrin und Joe Crawford – die beiden fahren Ski bzw. Snowboard und hätten sch nur zu gerne im Schnee ausgetobt. „Es hat uns in der Seele weh getan“, klagt Cherry, „dass wir wegen Verletzungsgefahr darauf verzichten mussten.“
Dafür erprobten Band-Boss Hartmut Engler und Frank Dapper den nun auch im Winter dahin sausenden SkyFly. Martin Ansel hingegen verzichtete: „Ich hatte eine Haut-Irritation am Hals und mein Arzt hat es mir verboten.“
Engler kündigt an: „Wir haben ja auch viele traurige Songs. Aber heute Abend machen wir mehr auf Party!“ Und: „Als Band will man ja immer hoch hinaus. Und endlich haben wir es geschafft. Unser höchst gelegenes Konzert…“ Ischgl, der Ort, liegt auf 1.377 Metern Höhe. In jenen wedeln wir nun hinab. Aus dem Sonnenschein ist oben, an der Bergstation, Schneefall geworden – der ab der Mittelstation in Regen über geht. Unten also Frühjahrsskilauf PUR.
Und schließlich das Konzert. 22.000 Zuschauer! 21.999 davon begeistert bis in die letzte Faser. Flippen fast aus bei „Abenteuerland“, bei dem Engler als Indianer verkleidet an die alten Zeiten erinnert. Und sie scheinen sogar ein Skifahrer-Lied im Repertoire zu haben: „Wenn es nach oben geht, geht es irgendwann auch wieder runter.“
Für die Fans der Gruppe geht es an diesem Abend ganz, ganz weit nach oben. Wie schön für sie. PUR, einst gegründet als Schüler-Band, locke vier Generationen zu seinen Auftritten, heißt es. Nun gut – dann zählt der Reporter eben zur fünften. Und denkt sich: Wenn schon PUR – dann PURple Rain. Den famosen Prince.
Den kann Ischgl leider nicht mehr für einen Auftritt verpflichten.
Jupp Suttner
Infos über das Skigebiet: www.ischgl.com
Infos über die Region: www.paznaun-ischgl.com
Infos über das Land: www.tirol.at , www.austria.info
NOSTALGIE:
SIE MÖCHTEN WISSEN, WIE ES WAR BEIM
ISCHGL-OPENING 2015 MIT DEN BEACH BOYS?
Bitte sehr:
https://reise-stories.de/der-gitarren-porno-von-ischgl/
UND 2014 MIT JAMES BLUNT?
Bitte sehr:
UND 2013 MIT NICKELBACK?
Bitte sehr (Report der Münchner ABENDZEITUNG):
Von Jupp Suttner
Die Jungs von Nickelback, jener legendären Rockband, die bisher 50 Millionen Alben absetzte, wissen ziemlich genau, wie Winter geht. Denn sie stammen aus dem kanadischen Westen. Jetzt traten sie erstmals im Tiroler Westen auf. In Ischgl. Heizten dort am Samstagabend 21 000 ausflippenden Fans mit einem beeindruckend engagierten Open Air-Konzert ein – und behaupteten voller Unschuldsmiene auf die Frage, wie sie denn die Pisten hier so fänden: „Wir dürfen leider nicht Skifahren – stellen Sie sich vor, wenn unseren Händen etwas passiert und die Show abgesagt werden muss!“.
Dabei hatten Menschen, welche in Ischgl die VIP-Skipässe verteilen, schon längst der AZ verraten, dass zwei Kerle der Band am Freitag heimlich Skifahren (sagten die einen) bzw. Snowboarden (behaupteten die anderen) waren. Wer flunkert da? Ehrlich gesagt schenken wir unseren Ischglern Gewährsmännern größeres Vertrauen. Schließlich existierte ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein paar der Nickelback-Boys tatsächlich downhill gezischt waren: das immer noch vorhandene Glitzern in ihren Augen am Samstagmittag!
Denn dieses verräterische Mal trugen nicht nur sie, sondern sämtliche Menschen, die am Wochenende in Ischgl carvten oder wedelten: Weil man sich in einer Art Winterwunderland bewegte – Schnee, Hänge und Präparierung der allerfeinsten Art! Wobei bereits rund 80 % der insgesamt 218 Pisten-km (Details: www.ischgl.com ) geöffnet waren. Am 20. Dezember kommen 3 000 weitere Meter hinzu – wenn die brandneue Piz Val Gronda E5-Pendelbahn eröffnet wird, die zugleich einige exzellente und bisher nur Insidern vorbehaltene Freeride-Runs offenbaren soll.
Der Name Nickelback rührt daher, dass Band-Boss Chad Kroeger (39 Jahre, im bisherigen Leben 28 Tage in Gefängnissen verbracht) einst bei Starbucks arbeitete und an der Kasse jeweils „Here’s your Nickel back! („Hier ist Ihr Nickel“, ein 5 Cent-Stück, „zurück!“) brüllte. Eine Rückgabe mehrerer Nickels würde man sich auch in Ischgl wünschen – angesichts des Skipass-Preises von 43,50 Euro. Am Samstag freilich war die Tageskarte jeden Nickel wert. Erstens wegen der unbändigen Super-Skifahr-Verhältnisse. Und zweitens – weil in diesem Ticket bereits der Eintritt in das Konzert inbegriffen war. Am 3. Mail folgt das nächste. Angeblich soll Robbie Williams kommen. Der muss mehr auf die Stimme als auf die Hände achten.
Jupp Suttner
UND 2012 MIT ROXETTE?
Bitte sehr (Report des deutschen Magazins Ski EXCLUSIV):
Von Jupp Suttner
Roxette rockte sich die Seele aus dem Leib. Und das Volk dankte es dem Duo. Das Ski- und Party-Volk von Ischgl. Tausende jubelten den beiden schwedischen Röhren zu – und anschließend sich selbst. Als es ans Feiern ging, die Nacht bis in den Morgen dauerte und auf dem oftmals torkelndem Heimweg an manchen Passagen durch zentimeterhohe Schichten von Müll, Dosen und zerbrochenem Glas gewatet werden musste.
Wer in der Früh’ dann freilich zur Gondel stapfte, bemerkte keinen Hauch der Orgien-Reste mehr: Ischgl präsentierte sich so sauber und clean, als sei es ein Schweizer Kurort. Die Tiroler beherrschen das Handwerk, auf 120 % hoch zu fahren und dann wieder bis zum Zero-Punkt hinab zu zischen, ehe alles erneut beginnt, geradezu perfekt. Doch es war nicht nur die blitzschnell wiedergewonnene Frischheit des Ortes, die beim Opening Ende November 2011 verblüffte – sondern in noch viel frappierenderem Maße die Möglichkeit, dann auch auf außerordentlich guten Pisten tatsächlich carven zu können. Denn ganz Europa war – wie jedermensch sich erinnern wird – zu diesem Zeitpunkt schneelos. Sogar manche Gletscher (die Zugspitze etwa) mussten ihre Eröffnungs-Wochenenden absagen.
Natürlich lag auch im Ort selbst, auf 1 400 Metern Höhe, kein Stäubchen des weißen Goldes. Doch mit der Gondel zehn Minuten empor – und schon konnte angeschnallt werden. Und zwar keine paar Pistchen, die als Alibi dienten. Sondern: Rund 100 der insgesamt 248 Kilometer an Abfahrten standen zur Verfügung. Und zogen sich wie eine Art Skiweltwunder als weiße Bänder durch die braun-grüne Landschaft.
Rund fünf Millionen Euro gibt das Skigebiet namens Silvretta Arena – bestehend aus Ischgl auf der österreichischen und Samnaun auf der schweizerischen Seite des Berges – jeden Winter für künstliche Beschneiung aus. Gefeuert wird dabei aus etwa 1 000 Kanonen. Zirka 70 bis 80 % des gesamten Beschneiungs-Etats 2011/12, schätzten Insider vor einem Jahr, wurden bereits für dieses Opening-Wochenende verbraten. Und: Wie sollte Ischgl mit dem kleinen Kunstschnee-Etat-Rest den gesamten restlichen Winter überstehen?
Nun – die Rechnung ging für das „Ibiza der Alpen“ (wie der Ort gerne genannt wird) wieder einmal voll auf. Denn erstens wurde wegen Roxette das Opening im gesamten europäischen Raum (und auch darüber hinaus) medial wahr genommen – und zweitens eine damit verbundene Frohbotschaft transportiert: „Die haben dort Schnee!“. Ischgl wurde – wieder einmal – überstürmt. Und stand vor allen anderen Konkurrenten da als der Held und Gewinner der Branche.
Seit den siebziger Jahren steigen in Ischgl Openings dieser Art. Katapultierten die Destination samt ihrem Weltklasse-Skigebiet in kürzester Zeit in die Champions League. Und dennoch: Zum gewissermaßen Viertelfinale der besten acht reichte es (bisher) nicht. Jenes bilden nach wie vor Schnee-Legenden wie etwa Aspen und Vail in Colorado, Lech Zürs und St. Anton am Arlberg, Kitzbühel in Tirol, Cortina in Italien, Val d’Isère mit Tignes in Frankreich oder St. Moritz in der Schweiz. Deren Image steht einfach höher. Und zwar aus einem simplen Grund: Tradition. Die sich beispielsweise folgendermaßen äußert:
- Nach St. Moritz reisen zahllose Promis – um dort dann möglichst nicht wahr genommen zu werden. Sie möchten unter sich und in Ruhe gelassen werden.
- Nach Ischgl hingegen reisen meist Menschen zwischen 30 und 60, die es im Berufsleben zu sehr viel gebracht haben. Auch finanziell. Und diesen Aufstieg gerne voll intensivster Lebenslust demonstrieren möchten. Junges Geld sozusagen, welches ausgegeben werden will – work hard, party hard(er).
Gäste-Devise laut Ischgls Tourismus-Direktor Andreas Steibl (47, gebürtiger Wiener, Pferdeschwanz, Jeans, besticktes weißes Hemd, seit 13 Jahren im Amt): „Mein Haus, mein Boot, mein Skiurlaub…“ Und deren Denke: „Ich habe ein neues Apple und einen neuen Porsche – jetzt fahre ich nach Ischgl…“
“Relax if you can”, so ein Ischgl-Werbe-Slogan, “mit dem wir“, so Steidl, „provozieren möchten. Denn wir sehen den Erholungs-Effekt anders. Unsere typischen Gäste stehen voll im Saft, geben Vollgas – und wir versuchen, ihnen innerhalb kürzester Zeit den Alltag zu verbessern“.
So wie Ischgl sich schwer tun wird, im eigenen Land den alteingesessenen gut betuchten Wiener dazu zu bringen, doch nicht immer und immer wieder nach Kitzbühel oder zum Arlberg zu reisen, sondern es doch auch einmal bei ihnen im Paznauntal zu probieren – so wird sich I. auch schwer tun, jemals ein Ski-Ort für Familien zu werden. „Stop!“, hebt da Steibl.die Hand, das sehe er nicht ganz so, denn man habe sehr wohl Familien hier – bei denen aber halt bereits die Kids „gebrandet“, also total markenbewusst, seien. Diese Familie würde nicht wie ein Single im engen Carrera, sondern in einem geräumigeren Cayenne anreisen. Und das Bubi in seinen Edelklamotten auf dem Rücksitz wäre schon allein deshalb begeistert, weil es nach den Ferien in der Schule erzählen könne, man sei Skifahren in Ischgl gewesen. Bei den jungen Menschen mache das nämlich sehr viel mehr her als etwa Lech oder so.
Warum Ischgl kein beispielsweise St. Moritz ist, liegt auch noch an zwei weiteren Fakten:
- Erstens besitzt man keinen Flugplatz – und eine alte VIP-Regel besagt: Ich düse nur dort hin, wo meine Maschine auch landen kann.
- Und zweitens besitzt man nicht in annäherndem Maße die Beherbergungs-Güte der Engadiner. Zwar rund 50 Viersterne-Häuser und fast 11 000 Betten innerhalb von 800 Metern Länge. Doch nur ein einziges 5-Sterne-Haus. Jenes – das Trofana Royal – ist sogar ein fabelhaftes 5 Sterne-S und erntet Jahr um Jahr vollkommen berechtigt den Titel „Bestes Ski-Hotel der Welt“ (wenn man alle Faktoren wie Sterne-Küche, Pisten-km, Jetset-Shopping-Paradies Ischgl, direkt vor die Haustüre wedeln, Nightlife etc. berücksichtigt) ein. Doch es ist eben das einzige 5er der Gemeinde. St. Moritz hingegen weist fünf Stück auf. (Und Kitzbühel sechs – nur zum Vergleich).
Da können die insgesamt 1.596 Ischgler (Stand 1.1.2012) noch so sehr darauf hinweisen, dass in der Hotellerie eine „einzigartige Investitionsbereitschaft“ (Steibl) herrsche, sogar jede einzelne Ferienwohnung auf Design ausgerichtet sei und dass jedes einzelne Haus in sich selbst so innovativ denke wie der Ort es im gesamten vor lebe. Dass jede Unterkunftsstätte alle Anstrengungen unternehme, sich absolut individuell zu positionieren, was wiederum wichtig auf die gesamte Performance Ischgls sich auswirke. Doch für den wahren JetSet zählen im Endeffekt halt nur Sterne – und keine Fakten wie etwa, dass man in Ischgl die gesamte Woche dank perfekt ausgeklügelter Tiefgaragen kein Auto benötige. „Ganz Ischgl“, schwärmt Steibl, „ist unterkellert“.
Keineswegs im Keller, sondern absolut auf der Höhe: die Preise. „Da sind wir top und damit spielt man auch nicht“, mahnt Steibl, „sonst kann man der Marke unheimlich schaden.“ Wobei er ja eigentlich selbst längst eine Marke ist – ein menschliches Event, wenn man will, innerhalb des Events Ischgl. Ein Marketing-Tausendsassa. Der aber dennoch erkennt: „Unsere Kernkompetenz ist das Skigebiet. Dies ist das Fundament. Deshalb kommen die Menschen hierher.“ Alles andere wie etwa das urbane Nachtleben und die kulinarischen Highlights seien „zusätzliche Inszenierungen“, die „den Mehrwert von Ischgl“ ergäben.
„Wir leben zu 101 Prozent vom Tourismus“, gesteht er. Und verrät, dass die Silvretta Seilbahn AG den Ischglern selbst gehöre, was wiederum unheimlich wichtig sei, „weil deshalb nichts von außen entschieden werden kann“. Ischgl ist rund tausend Jahre alt, wurde als Bergbauerndorf von den Rätoromanen und den Walsern besiedelt und hatte ab dem 17./18. Jahrhundert schwere Zeiten zu durchleben, so dass die so genannten „Schwabenkinder“ zum Arbeiten in die Fremde geschickt werden mussten. Ab 1882 wurden Alpenvereinshütten errichtet und begann der Tourismus, der 1964 mit dem Bau der Silvrettaseilbahn (seinerzeit die längste des Landes) seinen bedeutendsten Anstoß erhielt. Wikipedia: „Das einstige Bild eines Bergbauerndorfes ging in den letzten Jahrzehnten zugunsten einer Hotelsiedlung völlig verloren. Ischgl gilt heute als Beispiel für Massentourismus und Eventtourismus im Après-Ski.“
Treibende Kraft war dabei der „Madlein“-Hotelbesitzer Günther Aloys, Jahrgang 1947, der bereits 1999 (gegenüber der „Berliner Zeitung“) Sätze sagte wie:
„Zukunftskompetenz bekommst du nur, wenn du am leading edge lebst, an der vordersten Trendkante.“
„Man muss sich in das Turbo-Tempo der Zeit reinklicken.
„Einer muss ja die Tür nach draußen aufmachen, in die Zukunft, wo ein kalter Wind weht.“
„Ich bin der Art-Direktor des Dorfes“.
Er trieb Beton in Ischgl und damit Ischgl voran. Er plante überdachte Pisten, um die Saison zu verlängern, feierte Sadomaso-Partys in der Hoteldisco und wollte Wandern zum Event machen, wobei die Mädels mit Strapsen unterwegs sein sollten. 2006 wurde er wegen Zuhälterei angeklagt – im Massagezentrum seines Hauses war es angeblich rund gegangen. Doch die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos. Weltweit berühmt wurde „GA“ durch das Getränk Rich Prosecco, präsentiert von Paris Hilton.
Ohne Aloys damals wäre Ischgl niemals das, was es nun heute ist. „Für uns ist jeder Gast wichtig“, so Steidl, „aber wir haben uns trotzdem für einen bestimmten Kreis zu positionieren versucht: als Ski-Destination mit viel Entertainment – das war und ist eine klare Message. Viele Destinationen sind austauschbar, wir hingegen haben deutlich zu kommunizieren versucht: ‚Wir sind nicht besser – aber anders’. Wir möchten unverwechselbar sein. Wir sind emotional sehr stark aufgeladen und polarisieren auch. Aber das gehört zu unserem Marktauftritt. Was sehr wichtig ist – denn die Märkte werden ja immer internationaler. Und wir wollen dabei die spektakulärste Winterbühne der Alpen sein!“
Und zwar in erster Linie – nicht für Youngster. Sondern „für Menschen, die jung geblieben sind“, so Steidl. „Die sind sportlich agil und im Lifestyle agil – 50jährige sind ja besser angezogen als 20jährige!“.
Dennoch sollen die Nachwachsenden als Zukunfts-Ressourcen nicht vernachlässigt werden. Weshalb nun auch der Tiefschnee-Spaß eine Rolle in Ischgl spielt. „Der Arlberg hat da immer die Nase vorne gehabt“, so Steidl, und deshalb habe man, „ehe wir das Maul auf rissen“, vor sieben Jahren erst einmal Experten des Metiers eingeladen. Deren Urteil: Gutes Gelände, große Chance. Also engagierte sich Ischgl auch auf diesem Sektor. Wobei man von Anfang an auf die richtige Wortwahl achtete und diese Sache nicht etwa Tiefschneefahren nannte, sondern von Haus aus „Freeriden“. Steidl: „Das ist einfach fresher und sexier als ‚Geländefahren’…“
Dann sagt Steidl noch: „Die Natur ist unser Partner.“ Ein ganzer Satz ohne Business-Denglish. Wer weiß – vielleicht ist dies bereits der nächste Trend.
Jupp Suttner