Abenddämmerung. Stunde der Illusionen. Die Gipfel der Dreitausender in den Ötztaler Alpen sind in mystisches Licht getaucht. Mit dem Naturerlebnis konkurriert das größte Schauspiel, das die Alpen je erlebt haben, seit der karthagische Feldherr Hannibal mit einem Heer aus 60.000 Afrikanern, Kelten, Spaniern, sowie mit Tausenden von Pferden und 37 Elefanten 218 vor Christus die Alpen überquert hat. Hannibal“ heißt auch das spannende Revival einer gigantischen Herausforderung von Mann und Material, das seit 2001 nun schon zum 14. Mal auf dem Rettenbachferner in Sölden aufgeführt wird.
Performance der Superlative
Zwar gilt es als unwahrscheinlich, dass der geniale Eroberungsfeldzug von Spanien über den Alpenhauptkamm nach Italien auch über diesen Gletscher führte. Überliefert ist jedoch, dass das Gebirge so tief verschneit war wie der heutige Schauplatz des gigantischen Freilufttheaters.
Eine Performance der Superlative: Das größte zeitgenössische Schauspiel der Welt mit über 500 Teilnehmern auf der größten Natur-Showbühne der Welt, die sich auf 185 Grad ausbreitet – in 3D. Auf 2.800 m Höhe entsteht aus Schnee, Licht und Pyrotechnik die phönizische Stadt Karthago, mit turmhoher Pyramide, Palast, riesigen Elefanten und immensem technischen Aufwand. Untermalt von Peter Valentins Soundscore. Inszeniert vom Künstlernetzwerk Lawine Torrèn, gemeinsam mit Sölden und Red Bull.
Riesige Flammenwand
Die Brücke zwischen Historie, Fantasie und modernen Showeffekten schlägt als wagemutiger Grenzgänger der Salzburger Theaterregisseur und Choreograph Hubert Lepka. Der Spezialist für sperrige Locations entfaltet in genau 67 Minuten Hannibals Feldzug – die letzten 1.000 Kilometer nach Rom im Zeitraffer. Mit Harald Krassnitzer als Erzähler des Textes von Joey Wimplinger verwandelt Lepka Pistenraupen in Elefanten. Bei der ersten und der dritten Aufführung hatte man sogar noch echte
Elefanten vom Zirkus engagiert.
Außerdem unterwegs: Ein Regiment von 150 Skilehrern mit weißen Masken und Fackeln – Hannibals Soldaten. Einer von ihnen ist Harald Rein aus Sölden. „Von der Schwarzen Schneid haben wir den Gletscher überquert – abseits der eigentlichen Abfahrt.“ Wie eine riesige rote Flammenwand sieht es von unten aus. „Kein einziges Mal mussten wir dafür proben“, sagt Harald. „Unser Skischulleiter Herbert Gurschler hat per Funk von der Regie Order erhalten und das Signal per Trillerpfeife an uns weitergegeben. Am schwierigsten war der Moment, als wir uns zum Schluss durch 37 Pistenbullis und zahlreiche Motocross-Maschinen, die alle durcheinander wuselten, den Weg bahnen mussten.“
Punktgenaue Landung
Auf keinen Fall sei „Hannibal“ vergleichbar mit den Partys zum Saisonende in Form wie in manch anderen Skigebieten, betont der Regisseur. „Es handelt sich nicht um ein Spektakel sondern um Theater, mit eigener Choreographie und eigener Musik. Eine aufregende Lebensstory, die unsere Gesellschaft reflektiert.“
Der Ablauf muss höchst präzise sein: „Nur eine Abweichung von zehn Sekunden vor oder nach dem jeweils geplanten Einsatz darf es in der Dramaturgie geben“, verrät Lepka, „sonst gerät alles durcheinander. „Wie einmal, als 60 Fallschirmspringer punktgenau landen sollten, sich aber ein Deltaflieger verspätete. Zum Glück ist nichts passiert.“ Auch sonst ist vieles anders als an anderen Spielstätten: „Der Schnee reflektiert so stark, dass wir nur ein Zehntel Licht im Vergleich zu einer Operninszenierung benötigen. Trotzdem ist Licht der teuerste Teil der Technik.“
Begonnen hatte alles damit, dass Initiator Ernst Lorenzi aus Sölden beim Anblick eines Pistenbullis plötzlich die Vision eines Elefanten hatte. „Binnen von fünf Sekunden kam mir die Idee, hier die Story von Hannibal zu erzählen. Jakob Falkner, Geschäftsführer der Bergbahnen Sölden, gab seine Zustimmung: ,Ich verstehe den Inhalt zwar nicht ganz, aber ihr habt mein Ok!‘ Im September 2000 habe ich Hubert Lepka hier heraufgeschleppt. Im April 2001 fand die Uraufführung von ‚Hannibal‘ statt.“
Action überall
Über 7.000 Zuschauer hatten sich diesmal eingefunden, um der Choreographie von 12 Tänzern der University of Art in Neu-Mexiko, von Lawinen, Pistenbullis, Skidoos und Motocross-Maschinen zuzuschauen. Geplant war eigentlich der Einsatz von drei Fliegern der Flying Bulls Flotte und zwei Hubschraubern. Letztendlich kam aber nur ein Helikopter mit waghalsigen Stunts zum Einsatz – zu spät hatte sich am Abend der Nebel gelichtet.
Action überall – auf der riesigen Videowall neben der zehn Meter hohen Stufenpyramide aus Gletschereis werden entfernte Szenen in Großaufnahme herangezoomt. Im fiktiven Karthago TV Studio führt eine Moderation Interviews mit Hannibal und Venus. Extremskiläufer schwingen sich in Steilhängen durch schmale Grate zu Tal, Deltaflieger schweben wie Glühwürmchen über den Hang, ein Propellerskiläufer gibt den Späher. Alles passiert gleichzeitig, fast hat man Angst, an irgendeiner Stelle etwas zu versäumen.
Unbedingt will Skilehrer Harald Rein beim nächsten Mal wieder mitmachen, Teil dieser unglaublich eindrucksvollen Geschichte sein. Als einer der Soldaten von Hannibals legendärer Legion.