VON JUPP SUTTNER //// Al Raine ist der Ehemann der kanadischen 1968er-Riesenslalom-Olympiasiegerin Nancy Green und ein amerikanischer Ski-Pionier. Als er noch keine 70 war, hat er uns bei einer Sesselliftauffahrt mal den Unterschied zwischen kanadischen und europäischen Skifahrern erklärt:
„Wenn es während eines Skitages in Kanada zu schneien beginnt, dann ziehen die Europäer sich zum Wellnessen ins Hotel zurück – während zugleich alle einheimischen Kanadier ihren Bleistift und sämtliche sonstigen Arbeitssachen in die Ecke feuern und auf die Piste stürmen!“
Und nun, etwa zwölf Jahre später? Ist es Sonntagmorgen, 07.30 Uhr. Ich starre aus dem Liechtensteiner Hotel Gorfion auf die Pisten von Malbun, dem einzigen Skigebiet des Fürstentums. 5 Lifte, 13 Abfahrten, 23 Pisten-km.
Und was sehe ich? Nichts. Alles grau in grau, undurchdringlich, durchwoben von Schneeflocken-Fäden. Ich bin Europäer und krieche auf ein seliges Schlummer-Quattl in die Federn zurück. Skifahren? Gerne! Aber nicht ich. Zumindest nicht jetzt. Und umarme mein Kopfkissen.
_____________________________________
ABGEFAHREN! Die Ski-Reporter von Reise-Stories.de unterwegs im Schnee. Jede Woche wieder! Um aktuell zu schildern, wie es auf den Pisten von ……. gerade aus sieht. Dieses Mal: So war es am Sonntag/Montag 9./10. Januar 2022 im Skigebiet Malbun in Liechtenstein.
ABGEFAHREN ist KEINE Gebiets-Reportage, sondern nur eine „Momentaufnahme“.
Viele weitere ABGEFAHREN sind HIER zu finden:
https://ski-stories.de/?s=Abgefahren
Fotocredit & Copyright aller Fotos dieses Reports:
Jupp Suttner. Sämtliche Bilder wurden aufgenommen am Sonntag und/oder Montag 9./10., Januar 2022.
Text:
Jupp Suttner
______________________________________
Um 11 Uhr stehe ich dann auf der Piste. Und stelle fest: Keine Frage – die Liechtensteiner sind Kanadier! Denn es schneit und schneit und schneit. Ununterbrochen. Und die Sicht beträgt null. Doch was haben die Liechtensteiner gemacht statt brav in die Morgenmesse zu gehen? Sie sind bereits stundenlang Ski gefahren! Und wie! Sie fetzten durch ihre kleine weiße Welt, als seien sie alle eine Hanni oder ein Andy Wenzel, ein Willi oder Paul Frommelt oder ein Marco Büchel oder eine Tina Weirather (um die berühmtesten Olympiasieger/innen und Weltmeister/innen und WM-Medaillen-Gewinner/innen Liechtensteins aufzuzählen).
Jedenfalls haben sie alles umgepflügt, was umzupflügen ist. Die roten und schwarzen Hänge avancierten bereits zu veritablen Buckelpisten, nur auf den Blauen lässt sich der wunderbare Neuschnee ohne Krafteinsatz genießen. Wobei das Wort Genuss angesichts der Nullsicht ein wenig übertrieben klingt. Es heißt zwar stets, Skifahren sei Kniefahren und ein Guter des weißen Metiers würde keine Augen benötigen beim Carven und Wedeln. Er sehe mit den Knien. Aber ich bin eben kein Guter, sondern sehe nur mit den Augen. Vielleicht hülfen in meinem Fall auch Hühneraugen, denn die wären ja unweit der Knie. Aber ich besitze keine.
Doch wenn es zwischendurch ein wenig aufmacht – dann hüpft das Herz bei jedem Buckelpistenbuckel vor Freude: absolut das, was Al Raine „Dream Powder“ nennen würde! Und zwischen all‘ den Pisten? Wunderbarste Tiefschneehänge direkt daneben, die alle bis ins Tal führen und für die man keine Augen zu benötigen scheint, denn sie weisen ja keine Buckel auf! Denke ich – juhuuuu!!! Bis ich ich sichtlos in einen kleinen Gegenhang bohre, zurückplumpse – und wie Kafkas Käfer im tiefen, tiefen Schnee liege. Verflucht, wie komme ich, Jupp Samsa, hier wieder auf die Beine?
Plötzlich schwingt ein junger Snowboarder ab und schaufelt mich frei. Snowboarder sind eben auch nicht mehr das, was sie einmal waren! Vor zwanzig Jahren hätte ein Snöber (wie die Boarder in der Schweiz und Liechtenstein heißen) mich vollends ZUgebuddelt statt AUSgebuddelt! Wieder ein Feindbild weniger.
Rund 22 Stunden später. Die Liechtensteiner sind DOCH keine Kanadier! Denn am heutigen Montag – arbeiten sie so normal wie alle Europäer! Statt Ski zu fahren. Und so erlebe ich den schönsten Brettl-Tag seit Jahren, denn:
Keine Leute auf den Pisten! Die zudem keine Pisten sind, sondern Teppiche. Gestern Abend wurden sie prima präpariert, heute Nacht hat es auf diese „Grundfläche“ 15 cm feinsten frischen Holle-Flaums geschneit – und heute stehen die Hänge bei -6° mir und einigen Wenigen (vermutlich handelt es sich dabei um die Friseure und Friseurinnen des 65-Einwohner-Orts, deren Salons montags geschlossen haben) exklusiv zur Verfügung! Jeder einzelne Schwung kann in unberührtem, als sei es „Tiefschneefahren auf der Piste“, Daunen-Terrain ausgeführt werden. Es ist kein SkiFAHREN heute, sondern ein Ski-SCHWEBEN. Oder um es hipstermäßig auszudrücken:
SCHI-Porn PUR!
Ganz besonders reizvoll die roten Waldtobel Nr. 6 und Nr. 9 – und vielleicht haben ja auch bereits
Lady Di (auf dem Foto ganz links) und Prinz Charles (daneben, Foto-Copyright Amt für Kultur, Landesarchiv Liechtenstein, das Foto hängt im 1. Stock des Hotels Gorfion) sie bei ihrem Malbun-Skiaufenthalt im Januar 1985 durcheilt. Sowie gegenüber, auf der anderen Seite des Dorfes, die drei „Roten“ von der Sareis-Sesselbahn hinab, bei welcher bereits die Auffahrt einen betörenden Anblick (siehe Foto) bietet: Legföhren, Legföhren, Legföhren!
Durch diese sagenhafte Latschen-Plantage zu cruisen, ist auf Ski und Board freilich verboten – Art. 19 des Waldgesetzes, 300 bis 1.000 Franken Strafe.
Es ist übrigens das erste Mal, dass ich in Liechtenstein mich tummele. Besitze bedauerlicherweise auch keinen Briefkasten dort. Und lediglich eine einzige gedankliche Verbindung – den Wiener Opernball. Und zwar deshalb:
Als ich vor Jahren im vorarlbergischen Montafon auf den Spuren Hemingways wedelte, beschied die begleitende Skilehrerin, sie müsse nun abbrechen und nach Hause, um sich auf den morgigen Wiener Opernball vorzubereiten. Eine Karte für den Wiener Opernball zu ergattern ist so einfach wie auf nur einem Ski die Streif zu bewältigen. Wie sie denn zu dieser Gnade eines Tickets gekommen wäre, fragte ich sie deshalb. „Ach, mein Mann ist Treuhänder in Liechtenstein und wir werden da jedes Jahr zum Opernball eingeladen.“
Tja. Treuänder. Liechtenstein. Vielleicht sollte ich mich doch um einen Briefkasten dort bemühen. „Deutschlands Super-Reiche zieht es wieder nach Liechtenstein!“, so die Süddeurtsche Zeitung vor kurzem. Also MUSSTE ich doch als Mitglied dieser Kaste hierher!
Wobei mein Reise-Start mit zwei Pannen begann. Zuerst wollte ich mir rasch etwas über Liechtenstein ausdrucken – den Wikipedia-Beitrag. Ich dachte an 4 bis 5 Seiten, wie es sich halt für einen Zwergstaat geziemt. Doch es hörte nicht mehr auf zu drucken – 50 Seiten insgesamt! 50! Ich fände dies angemessen für Kanada vielleicht (9 985 000 qkm Fläche), doch nicht für Liechtenstein! (160 qkm). Diese Druck-Umwelt-Sünde!
Und dann der zweite Patzer: Da Liechtenstein ja eine Zollunion mit der Schweiz bildet, reiste ich natürlich mit meinen vom letzten Aufenthalt übriggebliebenen Schweizer Fränkli an und wünschte damit die erforderliche Autobahn-Vignette (39 Franken pro Jahr) zu bezahlen. Doch die Scheine wurden von der Schweizer Verkäuferin wieder zurückgeschoben. „Die sind alt und nicht mehr gültig! Die müssen sie in einer Bank umtauschen!“
Was für ein Witz: Da reist man ins Finanz-Dorado Liechtenstein – mit ungültigem Geld… Wo das Monetäre doch sooo eine bedeutende Rolle spielt im Kleinstaat. Schon während der Liftfahrten wird an etlichen Masten geworben: „LGT – Die Fürstenhaus-Privatbank Ihres Vertrauens“ und von der Konkurrenz mit „Wir halten Dein Geld in Form“ – unter dem Foto eines rasanten Ski-Cracks. So wie Panama von oben bis unten nach Banane riecht, so schmeckt Liechtenstein von vorne bis hinten nach Geld.
Doch sie machen an den Liftmasten auch Reklame für Nachhaltigkeit: „Hey“, heißt es, „diese Pet-Flasche hält 500 Jahre!“ So eine Flasche, diese Flasche, denke ich mir. Ötzi hat fünf Mal so lange gehalten!
Seit Jahren verkünde ich stets, wer einen Skiurlaub wie in einem kleinen kanadischen Resort erleben möchte – solle im osttirolerischen Kals seine Ferien verbringen. Klasse Pisten, wenig Menschen auf diesen. Seit heute jedoch weiß ich, dass ich künftig von mir geben werde, falls ich nach einem hiesigen Kanada-Revier gefragt werde: Entweder Kals – oder aber Malbun! Denn in Liechtenstein ist es NOCH unbevölkerter während der Werktage!
Und so schwinge ich nun ganz alleine zu Tal – und singe voller Winterglück:
„Put your SCHIIII on my shoulder“
zur Melodie von „Put your head on my shoulder“ von Paul Anka:
https://www.youtube.com/watch?v=zpGpu-pIVEk
Schließt einfach die Augen und summt und cruist mit mir mit. Und düst am Ende des Runs – nach Liechtenstein.
Es lohnt sich!
Auch für Nicht-Super-Reiche.
_______________________________________
Infos:
Fakten:
Skigebiets-Höhe: 1.600-2.000 m
5 Lifte/Anlagen
23 km präparierte Pisten
13 Abfahrten
Leicht: 3 Pisten
Mittel: 8
Schwer: 2
Tagesskipass: 49 sfr. (etwa 47 Euro), Jugendliche 38 sfr. (36 Euro), Kinder 28,50 sfr. (26 Euro)
Senioren ab Jg. 1961 jeden Mo, Di und Do: 29 sfr. (28 Euro)
Wochenskipass für Erwachsene (6 Tage) 206 sfr.(197 Euro), Jugendliche 160 sfr. (153 Euro), Kinder 108,50 sfr. (104 Euro)
Familienkarte für 7 Tage (2 Erwachsene und Kinder): 649 sfr. (621 Euro)
Familienkarte für 7 Tage (1 Erwachsener und Kinder): 424 sfr. (405 Euro)
Auto-Entfernungen:
München-Malbun etwa 250 km
Stuttgart-Malbun etwa 280 km
Frankfurt-Malbun etwa 475 km
Wien-Malbun etwa 685 km
Bahnstation: Sargans
Flughafen: Zürich
Hütte:
Unbedingt die Sareiser Hütte am Ausstieg der Sareisbahn oben besuchen – urig, gemütlich, wunderbare Einst-Sachen in der Deko. Ess-Tipp: Die Sareiser Rösti (24,50 Franken) mit Härdöpfl (Kartoffeln aus dem Ofen), Speck, Alpkäse, Zwiebeln und Spiegelei,
Und letztendlich noch kurz zum Hotel,
in dem wir abgestiegen sind, dem
****Familotel Gorfion:
Ein ski in ski out-Haus, dessen Kulinarik nur schwer zu überbieten ist und welches zudem einen fabelhaften Weinkeller sowie eine edelste Gin-Auswahl besitzt. Wir werden das Familienhotel – ein Kinderparadies, in dem sogar 1 x pro Woche ein nicht nur bei den Kleinen Lachsalven hervorrufender Zauberer auftritt – in Kürze auf Reise-Stories.de in einem großen Bericht detailliert vorstellen. Bis dahin können Sie sich selbst auf dieser Website informieren:
Das war meine wunderbare Hotelzimmeraussicht –
direkt auf den Kinderski(kurs)park vor der
Eingangstüre des Gorfion
Soweit dieses aktuelle ABGEFAHREN. Einen richtigen BERICHT über das Skigebiet gibt es dann im Herbst als Winter-“Vorschau”. Bleibt dran!